Leben in der Etappe
Die Saargegend war während des gesamten Ersten Weltkrieges Durchmarschregion und Etappe. Überall entstanden Lazarette.
Gleich zu Beginn des Krieges kam der zivile Eisenbahnverkehr zum Erliegen und blieb während des gesamten Krieges stark eingeschränkt. Eine der Folgen: Wegen des Koks- und Erzmangels mussten die Hütten die Produktion vorübergehend einstellen. Die Steinkohlenförderung ging stark zurück. Viele wehrfähigen Männer waren eingezogen worden - im Verhältnis mehr als im übrigen Deutschland. Man versuchte, sie durch ältere und jugendliche Arbeiter zu ersetzen. In vorher nie gekanntem Ausmaß mussten auch Frauen Schwerstarbeit verrichten, ebenso Tausende von russischen Kriegsgefangenen.
Seit dem Sommer 1915 war das gesamte Industrierevier Ziel von Luftangriffen. Die Zahl der Opfer und die Schäden blieben zwar gering, der Krieg zeigte aber ein völlig neues Gesicht.
Die Versorgungslage verschlechterte sich ständig. Bereits im August 1914 setzte man erste Höchstpreise fest. Im Frühjahr 1915 wurde zuerst das Brot rationiert, danach weitere Nahrungsmittel. Der Winter 1916/17 war für die Bevölkerung ein »Hungerwinter«.
Die »Heimatfront« bewies ihre Opfer- und Spendenbereitschaft. Die Schuljugend war ständig zum Sammeln aufgerufen, etwa von Brennnesseln. Nach dem Waffenstillstand am 11. November 1918 folgten französische Truppen den zurückströmenden deutschen Soldaten und besetzten die Saargegend. Sie beendeten sofort die Tätigkeit der Arbeiter- und Soldatenräte.
Lösung auf Zeit
In der Besatzungszeit zeigte sich immer wieder das gespannte Verhältnis zwischen französischem Militär und Bevölkerung. So kam es im Frühjahr und im Herbst 1919 zu Streiks.
Am 10.1.1920 trat der ›Versailler Vertrag‹ in Kraft. Die in ihm enthaltenen Saarregelungen waren ein Kompromiss zwischen den Annexionswünschen Frankreichs und dem von dem US-Präsidenten Wilson propagierten Selbstbestimmungsrecht der Völker:
Eine Regierungskommission des Völkerbundes übernimmt die Verwaltung des preußisch-bayrischen Industriereviers an der Saar einschließlich der Arbeiterwohngebiete.
Nach 15 Jahren soll die Bevölkerung über die weitere Zugehörigkeit des Gebietes entscheiden.
Als Reparationsleistung wird Frankreich das Eigentum an den Saargruben zugesprochen.
Die fünfköpfige internationale Regierungskommission (Reko) nahm am 26.2.1920 ihre Arbeit auf. Bis 1926 war ihr Vorsitzender der Franzose Rault. Über ihn bestimmte Frankreich die Politik an der Saar. Das Verhältnis zwischen Regierung und Bevölkerung blieb gespannt.
Eine echte parlamentarische Vertretung fehlte. Der 1922 errichtete Landesrat hatte nur beratende Funktion. Er wurde jedoch zu einem Forum saarländischer Interessen.
Als Eigentümer der Saargruben war Frankreich mächtigster Arbeitgeber an der Saar. Daraus ergaben sich vielfältige Möglichkeiten wirtschaftlichen und kulturellen Einflusses:
»Heim ins Reich«
Bis zum Machtantritt Hitlers waren sich fast alle Saarländer einig:
In der vom ›Versailler Vertrag‹ vorgesehenen Abstimmung wollte man für die Rückkehr zum »angestammten Vaterland« stimmen.
Daheim?
Die in Versailles geschaffene politische Einheit »Saargebiet« wurde nach der Rückgliederung nicht wieder aufgelöst. Die Nationalsozialisten unterstellten das neue »Saarland« dem pfälzischen Gauleiter Josef Bürckel. Als »Reichskommissar für die Rückgliederung des Saarlandes« (ab Juni 1936: »Reichskommissar für das Saarland«) brachte er viele Pfälzer mit an die Saar.
Nach dem 13. Januar 1935 emigrierten rund 8.000 Saarländer. Viele gerieten später in die Fänge der Nazis vor allem nach der Besetzung Frankreichs. Saarländer kämpften in Spanien für die Republik und organisierten von Forbach aus den Widerstand an der Saar - vor allem Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten.
Auch auf christlicher Seite gab es Widerstand gegen den Nationalsozialismus - vor allem gegen die Entfernung der Kruzifixe aus den Schulsälen und die Abschaffung der Bekenntnisschule
Als nach der Rückgliederung die Löhne sanken und die Preise und Steuern stiegen, kam es zu Streiks in Betrieben und Anfang 1937 zum offenen Konflikt zwischen saarländischen Grenzgängern und dem nationalsozialistischen Staat wegen der als nachteilig empfundenen Vor-schriften über den Devisenumtausch.
Tausende von Saarländern gerieten in die Gewalt der Gestapo. Hunderte kamen in Konzentrationslager. Viele kehrten nicht mehr zurück.
Im Februar 1937 wurden die ersten Todesurteile gegen saarländische Antifaschisten vollstreckt. Planmäßige Verfolgungen der Juden setzten an der Saar später ein als im übrigen Reichsgebiet. Viele konnten wegen internationaler Garantien noch bis Anfang 1936 ungehindert auswandern.
In der »Reichskristallnacht« vom 9. und 10. November 1938 steckten Nationalsozialisten auch an der Saar Synagogen in Brand, verschleppten Juden in Konzentrationslager und plünderten ihre Häuser.
Evakuierung und Verschleppung, Zerstörung und Befreiung In den ersten Kriegstagen Anfang September 1939 musste die Zivilbevölkerung die »Rote Zone«, den Streifen zwischen französischer Grenze und Hauptkampflinie des Westwalls, räumen.
Hunderttausende wurden in Sammeltransporten in mitteldeutsche »Bergungsgebiete« gebracht. Sie konnten erst nach Beendigung des Frankreichfeldzuges im Sommer 1940 zurückkehren. Vor allem die Dörfer an der unteren Saar und im Bliesgau waren schwer zerstört. Hier waren französische Truppen im Herbst 1939 für einige Wochen auf Reichsgebiet vorgedrungen.
Im Rahmen der gelenkten Wiederbesiedlung der »Roten Zone« wurden Juden in Lager in den französischen Pyrenäen verschleppt. Im Saarland waren die letzten Juden am 22. Oktober 1940 betroffen. Von diesen 134 jüdischen Mitbürgern kamen später 65 nach Auschwitz. Kranke der Anstalten Merzig und Homburg wurden in hessische Tötungsanstalten verschleppt.
1943 errichtete die Gestapo in Saarbrücken das KZ »Neue Bremm« für Kriegsgefangene, Lothringer und Reichsdeutsche, vor allem aber für Zwangsarbeiter aus Osteuropa. Viele wurden von Saarbrücken aus in die berüchtigten Vernichtungslager transportiert.
Die übrige Bevölkerung litt ebenfalls unter den Schrecken des Krieges. Die »Gauhauptstadt Saarbrücken« erlebte am 30. Juli 1942 den ersten verheerenden Luftangriff. Ein weiterer folgte am 5. Oktober 1944.
In dieser Zeit war die amerikanische 3. Armee bereits von Lothringen her im Vormarsch, wurde aber bis März 1945 an der mittleren Saar und am »Orscholz-Riegel« aufgehalten.
Nicht mehr heim ins Reich!
Nach Kriegsende schufen die Amerikaner mit dem Regierungspräsidium eine eigene Zivilverwaltung für das Saarland. Als am 10. Juli 1945 französische Truppen die amerikanischen ablösten, zeigte sich sehr bald, dass Frankreich das Industrierevier - wie nach dem Ersten Weltkrieg - stärker an sich binden wollte.
Unter verschiedenen Modellen fiel die Entscheidung zugunsten einer Wirtschaftsunion und einer begrenzten Autonomie.
Dieses Konzept vertrat die französische Regierung seit Februar 1946 gegenüber den Alliierten; sie arbeitete im Saarland konsequent an seiner Verwirklichung. Frankreich unterzeichnete nicht das Potsdamer Abkommen, da darin keine Grenzänderungen im Westen vorgesehen waren.
Noch im Juli 1945 wurde das Regierungspräsidium aus dem Bezirk des übergeordneten Oberpräsidiums Mittelrhein-Saar in Neustadt an der Weinstraße gelöst und am 8. Oktober 1946 eine Verwaltungskommission gebildet. Sie trat an die Stelle des Regierungspräsidiums.
Grundlage für deren Zusammensetzung waren die Ergebnisse der Kommunalwahl vom 15. September 1946. Am 22. Dezember 1946 schloss Frankreich die Grenze des Saarlandes zum übrigen Deutschland und trieb damit die Entwicklung in französischem Sinn voran.
Die materielle Not der Bevölkerung linderte sich erst nach der politische Neuordnung Ende 1947:
Quelle: saarland.de